Dipl.-Med. Marion Kunkel

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Wege zum Ich

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Psychotrauma

Der Begriff Trauma  kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Wunde, Verletzung“, im psychologischen Kontext „seelische Verletzung“.

Trauma entsteht, wenn wir Situationen und Zustände als äußerst bedrohlich erleben und uns dafür keine Bewältigungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (weder dagegen ankämpfen noch fliehen ist möglich), so dass wir der Erfahrung von äußerster Hilflosigkeit, Entsetzen, Ausgeliefertsein, Ohnmacht und Todesangst ausgesetzt sind. Trauma ist nicht das Ereignis welches uns widerfahren ist. Trauma ist das, was in uns als Folge dessen passiert, was uns widerfahren ist. Trauma kann von Beginn unserer Existenz an entstehen. Nicht an jedes Erlebnis, welches der Auslöser für Trauma ist, können wir uns bewusst erinnern, insbesondere nicht an Dinge, die wir in der frühen Kindheit, als Säuglinge, bei unserer Geburt oder auch bereits im Mutterleib durchgemacht haben.

Trauma hindert uns daran, ganz im Hier und Jetzt zu sein. Bei Trauma ist die unverarbeitete Vergangenheit ein Teil der Gegenwart, wodurch unser Verhalten (meist unbewusst) beeinflusst wird, was früher oder später Schwierigkeiten in Beziehungen, seelische oder körperliche Probleme zur Folge hat. Das uns innewohnende ursprüngliche Potenzial an Lebendigkeit und Lebensfreude kann sich unter solchen Umständen nicht voll entfalten.

Trauma wirkt in uns, auch wenn wir uns an konkrete Umstände seiner Entstehung nicht erinnern, weil die Psyche in der Lage ist, Unerträgliches ins Unbewusste abzuspalten. In der ganz frühen Kindheit sind wir außerdem noch nicht fähig, Erinnerungen bewusst abzuspeichern. Unser Körper mit seinem Zellgedächtnis erinnert sich jedoch an alles, was uns jemals passiert ist.

Unverarbeitete Traumata können auch auf nachfolgende Generationen übertragen werden, das geschieht ebenfalls unbewusst. 


  • Ich-orientierte Traumaintegration (IoTI)

    Die Ich-orientierte Traumaintegration (IoTI) ist eine psychodynamische, ICH-zentrierte und traumalösende Methode. Sie wurde von Dagmar Strauß auf der Basis der Identitätsorientierten Psychotraumatheorie (IoPT) nach Franz Ruppert in Verbindung mit Elementen aus körperbasierten Psychotraumatherapien, Bindungspsychotherapie und Körperpsychotherapie entwickelt.

    Schwerpunkt ist die Integration und Heilung von Bindungs- und Entwicklungstraumatisierungen (Lebens-, Verhaltens- und Beziehungsmuster entwickeln sich aus den erlebten Interaktionen mit den wichtigsten Bezugspersonen vom Beginn des Lebens an. Bindungstraumatisierungen sind prägend. Sie führen, wenn sie ungelöst bleiben, zu Entwicklungsstörungen und Schwierigkeiten im weiteren Leben und zu Anfälligkeit für weitere Traumatisierungen). Auch transgenerationale Aspekte werden berücksichtigt.

    Ziel ist die Entwicklung von gesundem Ich- und Selbstbewusstsein, Lösung aus Verstrickungen und unguten Bindungen und die Integration von traumaassoziierten Gefühlen, die abgespalten wurden, weil sie zum Zeitpunkt der Traumatisierung unaushaltbar waren.

    Unter aufmerksamer, feinfühliger therapeutischer Begleitung können Klienten in einem sicheren Raum ihren inneren psychischen Anteilen begegnen. Das eröffnet Möglichkeiten für besseres Selbstverständnis, Entwicklung von heilsamem Mitgefühl, Integration schmerzhafter, an das Trauma gekoppelter Gefühle und Ausrichtung auf neue, gesündere Perspektiven. Es wird eine auf Resonanz basierende, psychodynamische Aufstellungstechnik genutzt, die es ermöglicht, auch unbewusste Inhalte sichtbar zu machen und ins Bewusstsein zu bringen.

    Eine wesentliche theoretische Grundlage der IoTI ist die Identitätsorientierte Psychotraumatheorie (Franz Ruppert). Sie geht davon aus, dass Traumatisierungen, insbesondere im Kontext früher Bindungsbeziehungen, die Identitätsentwicklung des Menschen beeinträchtigen und zu seelischem Leid und körperlichen Erkrankungen führen. Ruppert entwickelte ein Spaltungsmodell welches besagt, dass bei Traumatisierung die Aufspaltung der Psyche eines Menschen in drei Hauptstrukturen erfolgt, um das Unaushaltbare zu überleben:

    • traumatisierte Anteile, in denen unaushaltbare Erfahrungen und Gefühle gespeichert und in die Tiefen des Unbewussten verbannt werden,
    • Überlebensanteile, die dafür sorgen, dass Traumainhalte und die damit einhergehenden Gefühle von Schmerz, Angst, Scham, Wut usw. abgespalten werden und unterhalb der Schwelle des Wachbewusstseins, also unbewusst bleiben. Damit sie im Unbewussten bleiben, werden Überlebensstrategien entwickelt, z.B.  Vermeidungsverhalten, übermäßiges Kontrollieren, Kompensation durch übermäßiges Arbeiten, Essen, Nikotin, Alkohol, Schmerzmittel, Drogen, Flucht in Illusionen u.a.,
    • gesunde psychische Funktionen, die prinzipiell in jedem Menschen vorhanden sind, auch nach Traumatisierungen.

    Es ist wichtig, Zugang zu den gesunden Anteilen zu finden, diese zu stärken und sich der Überlebensstrategien bewusst zu werden. Davon ausgehend ist es möglich sich dem Traumata schrittweise zu nähern und es zu verarbeiten.


  • Potenzialorientierte Psychotherapie

    Potenzialorientierte Psychotherapie ist eine Variante der Humanistischen Psychotherapie, in der das Fühlen eine zentrale Rolle spielt. Mit „Fühlen“ ist in diesem Kontext ein bewusstes Tun gemeint, d.h. die direkte Hinwendung zu und Wahrnehmung einer Empfindung in der unmittelbaren Gegenwart.

    Potenzialorientierte Psychotherapie unterstützt die Bewältigung innerer Konflikte zwischen übermäßiger Anpassung an die Normen anderer einerseits und dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung andererseits. Krisen und Leiden werden als Herausforderung betrachtet, die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten nicht länger fremden Vorstellungen zuliebe zu unterdrücken, sondern unser uns innewohnendes Potenzial zu entfalten. Symptome werden als Botschaften betrachtet, die den Weg zu Heilung und Gesundheit weisen.

  • Somatic Experiencing (SE®)

    SE® ist ein körperorientiertes therapeutisches Verfahren, das davon ausgeht, dass Trauma jeder Art und chronischer Stress Spuren im Körper hinterlassen. Es wird gezielt mit der körperlichen Reaktion auf traumatische Ereignisse gearbeitet, um traumatischem Stress zu lösen. Das autonome Nervensystem, welches nicht dem bewussten Willen unterworfen ist, spielt dabei eine wesentliche Rolle. Die als Folge von Schock und Traumatisierung entstandenen Symptome sind Ausdruck von Dysregulation im Nervensystem. Mit Hilfe von SE® wird die natürliche Selbstregulation des Nervensystems unterstützt und gefördert. Es hilft, die im Moment der Traumatisierung mobilisierte hohe Energie, welche nicht aufgelöst werden konnte und deshalb im Körper "eingefroren" wurde, sozusagen steckengeblieben ist, sanft zum Fließen und Entladen zu bringen. Es ermöglicht, neue Erfahrungen in der Gegenwart zu machen und Trauma zu verarbeiten. Spüren kann man das z.B. am Nachlassen von Anspannung oder anderen Symptomen und an der Zunahme von Vitalität und Sicherheit. SE® ist vor allem zur Überwindung von Schocktrauma sowie unterstützend bei der Verarbeitung von Bindungs- und Entwicklungstrauma geeignet.

  • Neuroaffektives Beziehungsmodell (NARM)

    NARM ist psychotherapeutisches Verfahren, welches auf einem sowohl psychodynamischen als auch körperlichen Ansatz beruht. Es ist auf Beziehungs-, Bindungs- und Entwicklungstrauma ausgerichtet und  ressourcenorientiert. Die menschliche Fähigkeit zu In-Kontakt-Sein und Lebendigkeit wird gefördert.

    NARM geht von fünf grundlegenden biologischen Bedürfnissen eines jeden Menschen aus: Kontakt, Einstimmung, Vertrauen, Autonomie, Liebe. Werden diese Bedürfnisse in der frühen Entwicklung frustriert, entwickeln wir, unter dem Druck uns anpassen zu müssen, Überlebensstrategien, die sich als Muster in unser Nervensystem einprägen, mit denen wir uns identifizieren und die wir beibehalten, auch wenn sie gar nicht mehr notwendig sind, was sich auf Dauer störend auf unsere Kontakt- und Beziehungsfähigkeit sowie Lebendigkeit auswirkt. 

    In der Therapie werden früh entstandene Bewältigungsmuster ins Bewusstsein gerückt und zwar mit dem Fokus "Jetzt und Hier" etwas zu verändern, damit Grundbedürfnisse zu Ressourcen heranreifen können.

  • Bindungstheorie

    Unter Bindung wird eine enge und überdauernde emotionale Beziehung von Kindern zu ihren Eltern und anderen wichtigen Bezugspersonen verstanden. Die Bindungsperson dient dem Kind als Regulationshilfe für seine Gefühle und ist positiven Fall Quelle emotionaler Sicherheit. Beziehungen im späteren Leben werden durch diese frühen Erfahrungen wesentlich geprägt.

    Menschen brauchen mehr als Essen, Trinken, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Sowohl Bedürfnisse nach Verbundenheit als auch nach Autonomie und Selbstbestimmung sind biologische Grundbedürfnisse. Wir haben Bedürfnisse nach liebevollem körperlichem und emotionalem Kontakt. Wir brauchen Sicherheit, Schutz, Geborgenheit, Liebe. Gleichzeitig haben wir Bedürfnisse unser Leben selbst zu gestalten und zu bestimmen. Je jünger, umso mehr sind wir auf feinfühlige Einstimmung und Stillung unserer Bedürfnisse durch unsere Bezugspersonen angewiesen, zu Beginn unseres Lebens, das mit der Zeugung beginnt, vollständig.

    Beim Bindungs- oder Entwicklungstrauma werden wir schon als Kleinkind durch unsere Bindungspersonen in unseren fundamentalen Grundbedürfnissen nachhaltig verletzt und damit traumatisiert.

  • Polyvagaltheorie

    Die Polyvagaltheorie beschreibt die neurophysiologischen Grundlagen unseres Sozial- und Defensivverhaltens. Sie erklärt die Funktionsmechanismen des autonomen (=vegetativen) Nervensystems (ANS) in der Therapie. 

    Das ANS funktioniert unwillkürlich und ist nicht vom Bewusstsein abhängig.  Es besteht aus komplexen neuronalen Strukturen und wird in einen sympathischen („Sympathikus“) und parasympathischen Zweig unterteilt, dessen größter Nerv den Namen “Vagus“ trägt und aus einem ventralen (vorderen) und dorsalen (hinteren) Zweig besteht.

    Der Sympathikus versetzt den Körper in erhöhte Leistungsbereitschaft. Im Fall von Bedrohung sorgt er für die Mobilisierung von Energie, um die Gefahr abzuwenden bzw. ihr zu entkommen (kämpfen oder fliehen). Sind Kampf oder Flucht nicht möglich, dann erleben wir Ohnmacht, Hilflosigkeit und Todesangst und es wird der dorsale Vagusnerv aktiviert (siehe dort). Die vom Organismus mobilisierte Energie kann dann nicht umgesetzt werden. Sie verbleibt im Körper und erzeugt, falls keine angemessene Behandlung erfolgt, einen chronischen Zustand von Übererregung mit Symptomen wie Unruhe, Anspannung, Herzrasen, hoher Blutdruck, (schmerzhafte) Muskelverspannungen, Schlaflosigkeit und viele andere, was auf Dauer erschöpfend und krankmachend ist.

    Der ventrale Vagusnerv ist zuständig für soziale Interaktion, schafft Gefühle von Verbundenheit, Sicherheit, Geborgenheit und Stabilität und ist angenehm entspannend. Voraussetzung für seine Aktivität ist, dass wir uns und unsere Umgebung als ausreichend sicher wahrnehmen.

    Der dorsale Vagusnerv immobilisiert den Organismus. Erleben wir uns in Sicherheit, fördert er Körpervorgänge, die der Regeneration und Krankheitsabwehr dienen. Bei Bedrohung reagiert er mit starker Aktivierung. Er ist dann zuständig für den Totstellreflex, das „Abschalten“ in  Situationen, die als lebensbedrohlich erlebt werden und aus denen es kein oder scheinbar kein Entrinnen gibt: die Folgen sind Erstarrung oder Kollaps („wie gelähmt“) mit Handlungsunfähigkeit bzw. Dissoziation (Spaltung).
    Wenn sich Betroffene bei schwerer, langanhaltender oder wiederholter Traumatisierung nicht mehr vollständig aus der Erstarrung oder dem Kollaps lösen können, bleibt ein Teil (bzw. Anteile) von ihnen im Moment der Traumatisierung stecken - sie frieren (sinnbildlich) ein und entwickeln sich nicht weiter. Der dissoziative Zustand (die Spaltung) wird dann chronisch. Die "eingefrorenen", abgespaltenen und damit ins Unbewusste verlagerten traumatisierten Anteile können jederzeit durch äußere oder innere Reize aktiviert werden: dann kann es passieren, dass die Betroffenen und ihr Verhalten von diesen, aus einer früheren Zeit stammenden Traumaanteilen oder von den in der damaligen Notsituation entwickelten Überlebensstrategien gesteuert werden.